Merinowolle

Riecht nicht, kratzt nicht, kühlt, wenn's warm ist, wärmt, wenn's kalt ist. Das sind die bekannten Fakten über Merinowolle. Aber die wenigsten wissen mehr über die Wollfaser des Merinoschafs. Was macht Merino so speziell?

Das Wichtigste im Überblick

  • Warum kratzt Merinowolle nicht?
  • Warum wärmt Merinowolle, wenn es kalt ist?
  • Warum kühlt Merinokleidung bei warmen Temperaturen?
  • Wieso wärmt Wolle auch im feuchten Zustand?
  • Warum riecht Kleidung aus Wolle (auch nach längerer Benutzung) nicht?
  • Merino-Mix in Funktionsbekleidung
  • Was man sonst noch wissen könnte
  • Gibt es Kehrseiten der Wolle?

Was die Wolle am Schaf, ist die Merinokleidung beim Menschen: Das Fell des Merinoschafs besteht aus sehr feinen, weichen und stark gekräuselten Haaren, die im Sommer atmungsaktiv sind und im Winter isolieren. Perfekt für das Schichtenprinzip.| Foto: Devold of Norway Wolle ist ein natürliches Produkt und wird in erster Linie von Schafen gewonnen. Die Bezeichnung „reine Schurwolle“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Material zu 100 Prozent aus neuer (nicht recycelter) Wolle hergestellt wurde, die von lebenden Tieren stammt. Wie alle tierischen Fasern besteht die Wollfaser aus Keratin, faserförmigen Proteinen, die auch menschliche Haare und Nägel bilden. Eine besonders hochwertige Form der Wolle ist die Merinowolle, die von Merinoschafen gewonnen wird und sich durch ihre besondere Feinheit und Weichheit auszeichnet.

Ein Fell für alle Fälle

Das Fell des Merinoschafs besteht aus leichten, dünnen, atmungsaktiven Haaren, die die Sommerhitze erträglich machen. Im Winter wächst ihm eine Langhaarschicht, die es gegen Kälte wappnen. Im Vlies des Merinoschafs ist vor allem Flaumhaar vorhanden, ein besonders feines, stark gekräuseltes Haar, das dem Wärmeschutz der Tiere dient. Was beim Schaf funktioniert, geht auch beim Menschen: Das Schichtenprinzip des Schaffells wird von den Herstellern funktionaler Merinobekleidung in verschiedene Merino-Layer übertragen. Als unterste Schicht trägt man eine atmungsaktive, dünne und leichte Baselayer (meist in 150-Gramm-Stärke), darüber eine wärmende und isolierende zweite Schicht (Stärke ab 200 Gramm). Allein aus dem Aufbau der Merinofasern – fein, weich, stark gekräuselt, geschuppt, elastisch – resultieren ihre funktionalen Eigenschaften. So isoliert sie unter anderem gut, kratzt nicht auf der Haut, transportiert Feuchtigkeit, riecht nicht und behält ihre Passform bzw. knittert kaum. Diesen natürlichen Eigenschaften der Wollfaser werden wir nun genauer auf den Grund gehen.

Warum kratzt Merinowolle nicht?

Die Merinofaser besitzt eine durchschnittliche Faserstärke von lediglich 16,5 bis 24 Mikron (=Mikrometer, das heißt ein tausendstel Millimeter), wohingegen „normale“ Schafwolle für gewöhnlich doppelt so dick sein kann. Zum Vergleich: Menschliches Haar hat einen Durchmesser von um die 30 Mikron. Kommen grobe Fasern mit der Haut in Kontakt, krümmen sie sich nicht, wodurch die Haarfollikel gereizt werden. Merinofasern sind jedoch so fein, dass ihre Berührung nicht als unangenehm empfunden wird. Denn die menschliche Empfindlichkeitsschwelle liegt bei etwa 25 Mikron. Das erklärt, warum herkömmliche Wolle kratzt, während sich Merinowolle angenehm weich auf der Haut anfühlt.

Warum wärmt Merinowolle, wenn es kalt ist?

Wolltextilien sind bekannt für ihre guten Isolationseigenschaften. Dies trifft natürlich auch auf Merinowolle zu. Merinofasern sind stark gekräuselt und haben eine wellenartige Struktur. Bis zu vierzig Kräuselungen pro Zentimeter sind möglich. Dadurch liegen die Fasern sehr locker aufeinander und es entstehen Luftkammern, die die Körperwärme einschließen und zurückhalten. Durch die Kräuselung gibt es zudem weniger Kontaktpunkte zwischen Material und Haut, was dazu führt, dass weniger Wärme abgeleitet wird. Denn Luft leitet Wärme nur sehr schlecht, das Textilmaterial dagegen schon. Die eingesperrte Luft zwischen den Fasern verringert also den Wärmeaustausch im Material, speichert Körperwärme und wirkt somit isolierend nach außen – ob nun gegen Winterkälte oder Sommerhitze.

Warum kühlt Merinokleidung bei warmen Temperaturen?

Funktionswäsche aus Merinowolle eignet sich vor allem für Aktivitäten, bei denen sich schweißtreibende Bewegungsphasen mit Ruhephasen abwechseln. Die Wolle saugt Feuchtigkeit auf und sorgt dafür, dass man nicht auskühlt, wenn man nicht mehr in Bewegung ist.

Wolle reguliert den Feuchtigkeitshaushalt und damit die Körpertemperatur. Die Fasern sind hygroskopisch, das heißt sie können Feuchtigkeit (in Form von Wasserdampf) binden. So leiten Wollfasern vom Körper produzierte Feuchtigkeit von der Haut weg, indem sie sie absorbieren und nach außen abgeben. Die Feuchtigkeit wird dabei zwischenzeitlich in der Faser bzw. zwischen den Fasern eingelagert. Die Faseroberfläche bleibt jedoch trocken. So kann Wolle große Mengen an Feuchtigkeit aufnehmen (bis zu einem Drittel ihres eigenen Trockengewichts), ohne dass sich das Material klamm anfühlt. Warme Umgebungsluft führt im nächsten Schritt dazu, dass das Material schneller wieder trocknet. Dabei entsteht kühlende Verdunstungskälte, die das Tragen von Merinokleidung im Sommer sehr angenehm macht. Zusätzlich wirken die oben beschriebenen Luftkammern zwischen den Fasern auch bei warmen Temperaturen isolierend gegen die Wärme von außen.

Wieso wärmt Wolle auch im feuchten Zustand?

Die Eigenschaft der Wolle, rund ein Drittel ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen zu können ohne sich feucht anzufühlen, erweist sich auch bei kalten Temperaturen als positiv. Während der Wasserdampf im Faserinneren absorbiert wird, stößt die Faseroberfläche Wasser (zum Beispiel Regentropfen) ab. Das Material bleibt trocken, was eine wichtige Voraussetzung für ein wärmendes Körpergefühl ist. Außerdem erzeugen Merinofasern wenn sie Feuchtigkeit aufnehmen Wärme. Bei der Feuchtigkeitsaufnahme entsteht in einem exothermischen Prozess sogenannte Absorptionswärme: Die polaren Molekülgruppen der Fasern kollidieren mit den Wassermolekülen, was Energie freisetzt. Dieser Prozess funktioniert solange, bis die Fasern mit Wassermolekülen gesättigt sind. Die Temperaturerhöhung des Materials kann dabei je nach Faserqualität bis zu zehn Grad betragen, abhängig von der Absorptionsfähigkeit der Fasern und der Absorptionsgeschwindigkeit.

Ein kurzer Regenschauer macht der Merinojacke nichts aus, da sie viel Feuchtigkeit ins Faserinnere aufnehmen kann und dabei sogar noch Wärme erzeugt! Wolle wärmt also aktiv, solange sie Feuchtigkeit aufnimmt. Um das Wärmepotenzial maximal auszuschöpfen, macht es Sinn, darauf zu achten, dass das Kleidungsstück aus Merinowolle vor dem Tragen komplett trocken ist. Meist kann man jedoch nicht genau sagen, wie trocken das Material wirklich ist, da es sich von außen nicht unbedingt feucht anfühlt. Ein Tipp, wie man ein Merinoprodukt komplett trocknen kann, wurde mir bei einem Interview mit dem Merinohersteller Devold gegeben: Man lege das Shirt bei niedrigster Temperatur ein paar Stunden vor der Tour in den Ofen (auf keinen Fall zu heiß, denn das schadet wiederum der Faser). Wenn es oben am Berg plötzlich kühl wird und zu regnen anfängt, kann man außerdem einen Moment warten, bevor man die Regenjacke überzieht, damit das Material leicht feucht wird und anschließend gut wärmt. Bei Mehrtagestouren empfiehlt sich zudem, die vollständig getrocknete Merino-Wechselkleidung luftdicht in einer Plastiktüte verpackt zu transportieren, damit sie nicht vor dem Tragen schon Feuchtigkeit aufnimmt.

Warum riecht Kleidung aus Wolle (auch nach längerer Benutzung) nicht?

Zum einen besitzt Wolle eine schuppige Oberfläche, die man sich wie Dachziegel vorstellen kann, und auf der sich Bakterien schwerer halten können als zum Beispiel auf glatten Synthetikfasern. Zum anderen nehmen Merinofasern Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf auf, bevor sie auf der Hautoberfläche zu Schweiß kondensiert, weshalb sich insgesamt weniger Schweiß bildet, der zu unangenehmem Geruch führen kann. Eine weiterer wesentlicher Effekt ist die natürliche Selbstreinigungsfunktion der Wollfaser. Das Keratin, also das Faserprotein in der Wolle, baut die geruchsverursachenden Bakterien auf der Haut ab. Der Kern der Wollfaser besteht aus zwei Zelltypen, die unterschiedlich viel Feuchtigkeit aufnehmen können und dadurch unterschiedlich stark anschwellen. Der dabei entstehende Reibungsprozess bewirkt einen mechanischen Selbstreinigungseffekt. Aus diesem Grund muss Wollbekleidung – egal ob „normale“ oder Merinowolle – auch nicht so häufig gewaschen werden.

Merino-Mix in Funktionsbekleidung

Merinowolle kann in Funktionsunterwäsche zum Einsatz kommen, aber auch in Midlayern wie Fleecejacken und -pullovern und sogar in der dritten Lage wie bei der Ortovox Guardian Shell, der weltweit ersten Hardshelljacke und -hose mit vollflächiger Merino-Laminierung auf der Innenseite (hier geht’s zum Testbericht). Es deutet sich schon an: Die Merinofaser wird von den Herstellern gerne mit anderen, zum Teil synthetischen Materialien zu innovativen Produkten kombiniert, die die Funktionalität von Natur- und Kunstfaser vereinen. Natürlich findet man insbesondere bei den Baselayern nach wie vor Produkte aus 100 Prozent Wolle (zum Beispiel bei der Funktionswäsche von Devold), aber auch hier fließen bei fast allen Herstellern auch andere Materialien mit ein.

Ein Materialmix mit Kunstfasern kann das Merino-Material noch angenehmer auf der Haut machen, was besonders für Menschen mit einer sehr empfindlichen Reizwahrnehmung eine Option ist. Dadurch haben sie nicht nur eine optimale, körpernahe Passform, sondern werden durch die Elastizität gleichzeitig widerstandsfähiger, da sie sich bei mechanischer Belastung mitdehnen anstatt zu reißen.

Was man sonst noch wissen könnte

(Merino-)Wolle ist im Gegensatz zu anderen Fasern schwer entflammbar. Im Gegensatz zu Kunstfasern braucht man sich daher am Lagerfeuer keine Sorgen machen. Je nach Dichte und Webart hat Merinowolle einen natürlichen Lichtschutzfaktor von bis zu 50.

Wolle ist ein zu 100 Prozent natürlicher und nachwachsender Rohstoff. Die Schafe können bis zu zwei Mal im Jahr geschoren werden. Außerdem ist Wolle biologisch abbaubar und gewährleistet ganz ohne chemische Zusätze Funktionalität, denn die „Technologie“ ist quasi in der Faser enthalten. Da Wollprodukte aufgrund ihrer selbstreinigenden Funktion seltener gewaschen werden müssen, zeigt sich auch hier ein positiver Effekt für die Umwelt.

Doch es gibt auch eine Kehrseite bei der Merinowolle

Merinoschafe gibt es an vielen Orten auf der Welt, ein großer Teil weidet in Australien und Neuseeland, aber auch in Südamerika und Südafrika gibt es Merinofarmen. Insbesondere der australischen Wollindustrie wird jedoch vorgeworfen, ihre Tiere einer schmerzhaften Behandlung zu unterziehen, die einem Parasitenbefall vorbeugen soll – das sogenannte Mulesing. Verantwortungsbewusste, auf Tierschutz und Qualität achtende Markenhersteller von Merinobekleidung wenden sich gegen diese umstrittene Praktik, indem sie ausschließlich Merinowolle aus zertifizierten Zulieferbetrieben kaufen, in denen kein Mulesing angewendet wird. Devold bezieht seine Merinowolle ausschließlich von zertifizierten Farmen aus Tasmanien. Angesichts der Tatsache ist es sicher ein Vorteil, dass große, bekannte Marken ihren Einfluss ausspielen, indem sie kontrollieren, von welchen Farmen sie Merinowolle beziehen. Daher ist es immer zu empfehlen, von Markenherstellern zu kaufen, die sich für Qualität und ethisch korrekte Wolle einsetzen und engen Kontakt zu den Farmern pflegen. Das schlägt sich natürlich auch im Preis nieder. Aber nur eine strenge Herkunftskontrolle der Merinowolle ermöglicht, Mulesing-freie Schafzucht zu garantieren.